Die Krise kommt – so oder so

  • „Für Männer ist der Ausstieg aus dem Beruf die größte Zäsur ihres Lebens, und damit auch die größte Krise“: Eckart Hammer bei seinem Vortrag im Erhard-Eppler-Saal. Foto: Ufuk Arslan
  • Werner Hepp (links) vom Haller Kreisseniorenrat hatte zur Diskussion mit Eckart Hammer (Mitte) Helmut Bleher (Kreisgeschäftsführer des Bauernverbands, Zweiter von links) sowie Hartmut Werny (ehemaliger Leiter des Haller Jugendamts, Zweiter von rechts) eingeladen. Die Diskussionsrunde wurde moderiert vom Steinbacher Pfarrer Holger Stähle (rechts). Foto: Ufuk Arslan
  • Sich im Alter fithalten ist eine sehr gute Idee: Man muss ja nicht gleich mit Hermann Strittmatter mithalten, der bei den deutschen Seniorenmeisterschaften im Gerätturnen locker einen Handstand auf dem Barren hinlegt. Foto: Hendrik Schmidt/dpa

Soziales Professor Dr. Eckart Hammer beleuchtet in Hall ein Feld im Halbschatten: den älter werdenden Mann. Sein Rat an die Herren: neugierig bleiben, Freundschaften pflegen, sich ehrenamtlich engagieren.

Ich bin regelrecht erschüttert“, sagt Helmut Bleher. Der Kreisgeschäftsführer des Bauernverbands, Kreistagsmitglied für die CDU, bis vor Kurzem noch Rotary-Präsident in Hall, Nebenerwerbslandwirt und auch sonst in allen möglichen Bereichen aktiv, sagt von sich selbst: „Ich stehe voll im Saft.“ Nach dem Vortrag von Eckart Hammer im Haller Haus der Bildung sagt der siebenfache Vater und Opa von sieben Enkeln aber: „Ich werde manches überdenken und mich selbst hinterfragen – was das Älterwerden mit mir selbst macht, darüber habe ich in dieser Form noch nie nachgedacht.“

Eckart Hammer hört die Worte des gelernten Agraringenieurs mit einem wissenden Schmunzeln. Im Prinzip ist Helmut Bleher ein Paradebeispiel für sein Forschungsfeld. Dem Untermünkheimer geht es wie den meisten Männern, die die 50 überschritten haben: Man bewegt vermeintlich große Dinge (oder auch: man sitzt im Hamsterrad), ist gefragt und wird gebraucht (oder auch: benutzt), verliert sich selbst dabei aber aus dem Blick.

„Ehrwürdige Greise“

Dass es zumindest ein Problembewusstsein für das weite Feld des alternden Mannes gibt, zeigt indes der Donnerstagabend im Haller Haus der Bildung. Der Erhard-Eppler-Saal ist fast voll besetzt. Männer zwischen 50 und weit über 80 Jahre sind gekommen, manche haben auch ihre Frauen mitgebracht. Eckart Hammer spricht die Herren im Publikum als „ehrwürdige Greise“ an (anscheinend wurde der Philosoph Immanuel Kant anlässlich seines 50. Geburtstages so bezeichnet), meint das aber durchaus humorvoll. Er selbst habe sich schon alt gefühlt, als er mit 27 Jahren den Senior-Ausweis der Jugendherbergen bekommen habe, spätestens aber, als er mit 42 Jahren offiziell als „älterer Arbeitnehmer“ gezählt wurde.

Hammer weiß, wovon er spricht. Der Sozialwissenschaftler war als Professor für Soziale Gerontologie, Beratung und Sozialmanagement an der Evangelischen Hochschule Ludwigsburg tätig. Seit 2021 ist er im Ruhestand, aber unter anderem noch als Vorsitzender des Landesseniorenrates aktiv. Insofern ist der Wissenschaftler auch sein eigenes Untersuchungsobjekt. Und sieht die Dinge entsprechend nüchtern: „Wir reden mit 70 über statistisch noch zehn bis 15 gute Jahre.“ Gleichwohl: „Ich möchte heute nicht mehr 20 sein.“ Was also soll man tun, zwischen „Twentours und Seniorenpass“ (so ein alter Songtitel des Liedermachers Stoppok)?

Die fünf L’s des guten Alterns

Eckart Hammer fasst es schön plakativ in seiner Definition der „Fünf L’s des guten Alterns“ zusammen. Laufen (also viel Bewegung), Lernen (also neugierig bleiben), Lieben (also Partnerschaften und Beziehungen pflegen), Lachen (also sich selbst nicht zu wichtig nehmen), Lassen (also sich von Überflüssigem trennen). Das ist natürlich einfacher gesagt als getan. „Es ist ein Wunder, wenn man durch diese Jahre unbelastet durchkommt“, stellt der Professor fest und im Publikum weiß man da natürlich nicht, ob einen dieser Satz beruhigen oder verängstigen soll. Die Midlife-Crisis jedenfalls, sie kommt und Hammer spricht hier auch lieber von Wechseljahren im Sinne von Perspektivwechseln. Denn spätestens mit Anfang, Mitte 50 stellen sich die Fragen: Was waren nochmal meine Ideale? Was habe ich erreicht? Welche Spuren hinterlasse ich? Hat sich der Einsatz gelohnt? Und wie steht es eigentlich um meine Partnerschaft? Und je nachdem, wie die Antworten ausfallen, gestaltet sich eben auch die Krise.

Keine Patentrezepte

Kritisch wird‘s auf jeden Fall, wenn der Ruhestand naht, denn dann fallen Männer oft in das Loch der Bedeutungslosigkeit. Denn während sich Frauen oft über ihr soziales Netzwerk definieren, ist bei Männern der wichtigste Anker der Beruf. Und der wird mit dem Ruhestand zwangsläufig gezogen. Viel stärker als Frauen neigen Männer zu Depressionen, Sucht, Einsamkeit und auch Suizid. Was hilft: „Wir brauchen ein neues Projekt.“ Hammer rät dazu, sich auch nach dem Rückzug aus dem Erwerbsleben zu engagieren – als Mentor oder Schulbegleiter, als Nachbarschaftshelfer oder im Senior Service. „Viele Männer wissen gar nicht, welches Geschenk es für einen selbst sein kann, sich für andere einzusetzen“, so der Chef der Landessenioren.

Einer, der das weiß, ist Hartmut Werny. Der Crailsheimer hat über viele Jahre das Jugendamt des Landkreises geleitet und er hatte beim Übergang in den Ruhe­stand das Gefühl „von 100 auf null heruntergebremst zu werden“. Das offenbarte der heute­ 68-Jährige im Anschluss an Hammers Vortrag in einer von Pfarrer Holger Stähle moderierten Gesprächsrunde, an der auch Helmut Bleher teilnahm. Heute pflegt Werny seine betagten Eltern, beide über 90, und hilft Menschen als sogenannter Behördenlotse – „ich helfe Ihnen durchs Dickicht der Bürokratie“. Für Eckart Hammer ist das ein guter Weg, aber auch kein Patentrezept: „Niemand kann Ihnen sagen, was Sie im Ruhestand tun sollen – ich auch nicht.“ Was aber sicher sei, so der mit dem Zug angereiste Autor einschlägiger Ratgeber: Herumreisen, Fernsehschauen und den Keller aufräumen – das allein ist es nicht.

Vielen Männern bleibt im ­Haushalt dann nur noch das ­Müllmanagement. Professor Eckart Hammer über Ruheständler und ihre neue Rolle

Soll ich golfen gehen? Oder den Jagdschein machen? Bisher habe ich noch keinen Plan. Helmut Bleher über das Leben nach dem Beruf

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