Weltmeister statt Hollywood-Karriere

  • Eberhard Gienger ist „Zu Gast am LMG“ in Crailsheim. Die Schüler Samil Ermeydan (links) und Kayra Top stellen ihm Fragen zu seiner sportlichen Karriere. Foto: Lea Podschun
  • Das Archivbild vom 23.07.1976 zeigt Eberhard Gienger vom TSV Künzelsau bei seiner Kür am Reck bei den Olympischen Sommerspielen von Montreal. Beim Turnen der Männer im Geräte-Einzelfinale gewann er eine Bronzemedaille an diesem Sportgerät. Während die SPD in ihrem Wahlkampf allein auf die verbale Unterstützung von Sportgrößen wie Jürgen Klinsmann setzt, schicken CDU und PDS Sport-Promis in den direkten Kampf um Bundestagsmandate. CSU-Kanzler-Kandidat Edmund Stoiber setzt auf den Turn-Weltmeister Gienger und FIFA Schiedsrichter Bernd Heynemann. Gienger hat sich zum Ziel gesetzt, in seinem Wahlkreis 267 Neckar/Zaba dem SPD-Kandidaten Hans-Martin Bury das Direktmandat abzujagen. dpa/lbn (zu Korr.-Bericht lbn "Ex-Stars im Wahlkampf-Stress: CDU und PDS setzen auf Sport-Promis" vom 16.07.2002). Beachten: erschien am 17.07.2002 in der Rundschau DPA

Gespräch Eberhard Gienger, Bronze-Gewinner bei den Olympischen Spielen 1976 und CDU-Politiker, blickt in Crailsheim auf sein Leben zurück. Zunächst sah es für ihn nicht nach einer Turn-Karriere aus.

Diese Reihe nimmt sich zum Ziel, Gäste einzuladen, die wir inspirierend finden, um unseren Schülern zu zeigen, dass es mehr gibt als nur das Klassenzimmer. Keine Frage, dass dieser Mann perfekt in unser Konzept passt“, beginnt Jonas Förtsch, Lehrkraft am Lise-Meitner-Gymnasium in Crailsheim, den Abend. „Mit diesem Mann“ meint er Eberhard Gienger. Der ehemalige Kunstturner gewann 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal die Bronzemedaille am Reck. Weiterhin saß er 19 Jahre für die CDU im Bundestag. „Ich war erstaunt, wie viel in ein Leben passen kann“, sagt Förtsch. Er organisiert die Reihe „Zu Gast am LMG“ seit einigen Jahren, die Moderation übernehmen passend zum Werdegang des Sportlers fünf Jugendliche aus den Leistungskursen Politik, Sport und Wirtschaft.

Und die wollen zuerst wissen, wie die Schulzeit denn für Gienger war. „Eigentlich gar nicht so schlecht“, gibt der 74-Jährige zu, der in Künzelsau geboren wurde. Vom Turnen schien er damals jedoch erst einmal nichts wissen zu wollen. Bei seiner medizinischen Untersuchung habe man bei ihm Knick-Senk-Spreizfüße, O-Beine und Hängeschultern festgestellt. Das hat dazu geführt, „dass ich mit den sportlich gesehen größten Flaschen meiner Klasse ins Schulsonderturnen gehen musste“. Das sei für ihn „eine Schmach“ gewesen. „Damit war die Sportart Turnen für mich erledigt.“

Sport war immer das Wichtigste

Der Umschwung kam für ihn dann einige Zeit später, als er einige Klassenkameraden zum Turnen begleitet hat. Er sei begeistert gewesen von den großen Oberarmen, habe jemanden dabei beobachtet, wie er einen Handstand an den Ringen machte. Anfang der 1960er-Jahre seien auch Gladiatorenfilme beliebt gewesen und „da hab ich gedacht, Mensch, Turnen, da könnte sich der Kreis für dich nach Hollywood schließen“. Gienger trat in den Turnverein ein und zog später für den Leistungssport nach Frankfurt/Main. Er habe seine Karriere dann trotzdem mehr aufs Sportliche verlegt, Hollywood war dann nicht mehr der Fokus. „Für mich war Sport eigentlich immer das Wichtigste.“

Doch das scheint heutzutage nicht für alle Jugendlichen der Fall zu sein. Laut der Schlagzeilen, die die Schüler vorbereitet haben, treiben Kinder nahezu allen Studien zufolge zu wenig Sport. „Ich halte es für sehr problematisch“, sagt Gienger dazu. Er sei Vertreter derjenigen, die sagen, die tägliche Sportstunde ist sinnvoll. „Ich habe gemerkt, wenn ich mich bewege, dann bin ich aufmerksamer fürs Lernen.“ Doch um die Jugendlichen zu motivieren, brauche es einen ordentlich gestalteten Sportunterricht. Man müsse den jungen Leuten auch sagen, dass Schwitzen nicht „igittigitt“ sei und ihnen „die Schönheit der Bewegung“ näherbringen. „Sport ist für mich einfach die beste Möglichkeit in frühen Jahren zu lernen, wie das Leben später einmal aussehen wird.“

So entstand der Gienger-Salto

Doch auch er sei in seiner Spitzensportlerkarriere faul gewesen, gibt er zu. Nachdem er bei Olympia Dritter wurde, sei er einige Zeit in den USA gewesen. Da habe er sich eher auf „Partying“ konzentriert. 1977 bei den Europameisterschaften in Vilnius turnte er deshalb „altes Zeug“ und habe sich nicht weiterentwickelt. Die Russen und Bulgaren zeigten jedoch viele Flugelemente, am Reck kam er deshalb nicht ins Finale. Daraufhin sagte er: „Ich werde den Kampf mit der Weltspitze wieder aufnehmen.“ Ein Journalist schrieb, dass das Vorhaben zwar sehr löblich sei, aber um das zu tun, bräuchte der Turner wohl ein Fernglas. „Das tut weh“, erinnert sich Gienger. Aus dem einfachen Grund, weil der Journalist recht gehabt habe. „Ich war ein fauler Hund.“ Stinksauer wagte er sich nach der Meisterschaft an die Flugelemente ran. Der Deltschew-Salto des bulgarischen Konkurrenten Stojan Deltschew gefiel ihm am besten.

Das Element gelang ihm jedoch nicht, weil er es falsch interpretierte. Durch das Grätschen der Beine unterbrach Gienger die Drehung zur Stange. Irgendwann habe er einfach die Beine zusammen gelassen und es klappte plötzlich. Doch dadurch entstand ein ganz neues Element, welches er als Erster auf internationaler Bühne turnte: den Gienger-Salto. „Auch wenn man unfähig ist, etwas zu machen, kann durchaus noch was Vernünftiges draus werden“, sagt er und löst ein Lachen im Publikum aus. Er habe aufholen und dem Journalisten zeigen wollen, dass er kein Fernglas brauche.

Neben seiner sportlichen begann Anfang der 2000er-Jahre auch seine politische Karriere. Der ehemalige Verkehrsminister Matthias Wissmann habe sich bei ihm gemeldet und gefragt, ob er nicht für das Bundestagsmandat für den Wahlkreis Neckar-Zaber kandidieren wolle. Gienger verneinte, weil er „null Ahnung von Politik“ hatte. Wissmann ließ nicht locker, bei einem Treffen „hat er mir die Politik von der schönsten Seite erklärt“. Gienger sagte schließlich doch zu: „Wenn du auf der einen Seite politisch interessiert bist und du die Möglichkeit hast, dich für andere einzusetzen, deine Ideen durchzubringen, dann solltest du es probieren.“

Seine erste Rede war eine prägende Erinnerung für ihn, er dachte „Nerven wie Drahtseile“ zu haben, doch als er aufgerufen wurde, habe er geglaubt, keinen Ton herauszubekommen. Dies ließ sich mit einem Räuspern jedoch beseitigen. Und auch der Bildungs- und Forschungsausschuss, in dem es darum ging, ob Forschung an Embryonen gestattet sei oder nicht und die Frage von Wert und Schutz des Lebens blieb ihm im Gedächtnis. „Sich einzuarbeiten, das war toll, sich eine Meinung zu bilden und diese zu vertreten, unter Umständen sogar gegen die eigene Truppe“, das sei prägend gewesen.

Ein Freund der Brandmauer gegenüber radikalen politischen Strömungen sei er aber nicht. Wenn die Bevölkerung sich mit mehr als 30 Prozent für eine Partei einsetze, dann könne man nicht so tun, als würde sie nicht existieren. „Man sollte den politischen Gegner mit Argumenten stellen und nicht mit Verboten.“

Jugendliche, die Interesse an der Politik haben, sollten es versuchen, aber: „Wer in die Politik geht, darf nicht davon ausgehen, dass er jetzt einen Kindergeburtstag mitmacht. Es ist schon ein hartes Stück Arbeit, wo man auch nicht nur geistig gefordert ist, sondern auch tatsächlich physisch.“

Auch wenn man unfähig ist, etwas zu machen, kann was Vernünftiges draus werden.

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