Ein Dorf diskutiert, was man tun kann
Infoveranstaltung Die Berichterstattung unserer Zeitung über ein Winterlager des rechtsextremen Jungadler in Geislingen wirkt nach. Am Dienstag fand dazu eine Gesprächsrunde im Kulturhaus statt.
Um die Jahreswende 2023/24 fand in einem Freizeitheim in Geislingen am Kocher ein Winterlager des Jungadler statt, einer rechtsextremen Jugendgruppierung. In der Gemeinde Braunsbach hatte sich nach der Berichterstattung in unserer Zeitung im August dazu nun Gesprächsbedarf ergeben, dem Bürgermeister David Beck und unsere Zeitung am Dienstagabend mit einer Veranstaltung im Geislinger Bürgerhaus nachkamen.
Mehr als 50 Personen, zum Großteil welche aus dem Ort mit rund 200 Einwohnern, hatten sich dazu eingefunden, was den Bürgermeister besonders freute: „Wir nehmen das Thema ernst bei uns und dulden nicht diese rechtsextremen Umtriebe in der Gemeinde“, sagte Beck. „Es ist ein ganz wichtiges Zeichen, dass so viele Menschen heute Abend den Weg hierher gefunden haben und Interesse zeigen.“
Nach Erscheinen des Artikels über das Winterlager am Ortsrand seien gleich die ersten Nachrichten gekommen: Was die Gemeinde denn gedenke, in diesem Fall zu tun? Daraus habe sich diese Veranstaltung ergeben. „Wir stehen klar für Demokratie und Vielfalt. Wir ignorieren solche Gruppen nicht. Nur durch Offenheit und Aufklärung können wir ihnen entgegentreten.“
Vor der eigentlichen Diskussion sprachen Redakteur Jens Sitarek und der Rechtsextremismusexperte und Journalist Timo Büchner über ihre Recherchen und Einordnungen zum Jungadler. Er sei über einen Artikel aus der „Zeit“ im Juni dieses Jahres auf das Winterlager aufmerksam geworden, berichtete Sitarek.
Daraufhin sei er nach Geislingen gefahren, um mit den Menschen vor Ort zu sprechen. Weil schon klar war, dass es sich um eine rechtsextreme Organisation handele, habe dies die Arbeit ungemein erschwert. Kaum jemand wollte reden: „Die Leute wollten vielleicht nicht, dass ihr Dorf in die rechte Ecke gestellt wird. Aber das war nie unsere Absicht.“
Gruppe suchte die Öffentlichkeit
Schließlich hätten aber doch einige Leute im Ort mit ihm geredet. Dabei stellte sich raus, dass diese „Zivilcourage gezeigt“, und einer hatte die Polizei verständigt – ohne dieses Handeln wüsste man heute vieles nicht. Der Verfassungsschutz wiederum habe das Jugendlager in Geislingen dem Jungadler zugeordnet.
Die Gruppe hatte sich als Pfadfinder getarnt und sich als Wandervogel vorgestellt. Auch viele Kinder im Grundschulalter seien unter den Teilnehmern gewesen. Die ältesten der wohl aus ganz Deutschland stammenden Teilnehmer waren 35 Jahre alt. Bei dem Anmelder der Freizeit habe es sich um einen Studenten aus Dresden gehandelt, der der rechtsextremen Identitären Bewegung zuzurechnen ist. Bemerkenswert war, dass die Jungadler sich keineswegs versteckten.
Timo Büchner zeigte im Anschluss, wo der Jungadler einzuordnen sei. Er stellte ihn in eine Tradition mit den rechtsextremen Jugendorganisationen nach dem Zweiten Weltkrieg, deren Vorbild sowohl die Hitlerjugend als auch der Bund Deutscher Mädel im Dritten Reich waren. Fast alle diese Nachfolgeorganisationen sind verboten worden. Es bestehe der Verdacht, dass der Jungadler die verbotene Heimattreue Deutsche Jugend fortführe, merkte Büchner an.
In der nachfolgenden Diskussions- und Fragerunde wurde gefordert, dass der Vermieter des Freizeitheims in die Pflicht genommen werden solle, aber auch vermutet: „Vielleicht brauchen die das Handwerkszeug.“ Gerhard Borchers vom Kirchberger Bündnis gegen das vom rechtsextremen „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff)“ betriebene, sogenannte Jugendheim Herboldshausen erinnerte sich daran, dass es auch in Kirchberg an der Jagst einen Versuch der Völkischen gegeben habe, in der Stadthalle einen Tanzabend zu veranstalten. Glücklicherweise habe man noch rechtzeitig einen Hinweis erhalten.
Das könne überall vorkommen, ergänzte Bürgermeister Beck. Er fragte außerdem nach, was solche Ideologien so anziehend für junge Menschen mache. Büchner konnte ihm dazu antworten, dass es sich meist um „Sippen“ handele, also: „Die Kinder wachsen in die Szene hinein.“ Es werde lediglich in einem „sehr engen Kreis“ um Gruppenmitglieder geworben.
Recherchen reichen nicht aus
In Geislingen stünden Immobilien zum Verkauf. Wie wolle man verhindern, dass sich dort Rechtsextreme einkaufen, wollte eine Geislingerin wissen. Jens Sitarek konnte sie dazu auf den Verein „Gruppe beherzt – für Demokratie und Vielfalt“ und dessen Flyer „Augen auf! beim Immobilienverkauf“ verweisen, der online einsehbar ist.
Die Arbeit der Presse im Fall des Winterlagers in Geislingen wurde auch kritisch gesehen. Ein Mann meinte, er finde die Arbeit von Büchner und Sitarek gut, aber ihn habe die Art der Berichterstattung gestört. Er finde es nicht richtig, dass man die Geislinger unter Verdacht stelle, dass man behaupte, die Einwohner würden sich wegducken.
Dem widersprach ein anderer Ortsansässiger: „Es geht nicht um einen Generalverdacht, sondern um die Sensibilisierung der Menschen hier, und darum, auf die Organisationen aufmerksam zu machen.“ Büchner vertrat dazu die Auffassung: „Unsere Recherchen reichen nicht aus. Die Initiative gegen solche Gruppen muss von der Bürgerschaft ausgehen.“ Für Informationen sei die Presse schon wichtig, merkte Borchers an: „Der Bericht in der Zeitung hilft ungemein, wenn Sie etwas ausrichten wollen. Die Aufmerksamkeit, die sie erzeugt, macht es den Rechtsextremen schwieriger, solche Jugendlager umzusetzen.“
Eine weitere Geislingerin berichtete, dass ihr die Gruppe im Freizeitheim aufgefallen sei. Sie hätte sich wegen ihrer Kleidung gefragt, wer die Leute seien. „Ich hatte einen Verdacht, war aber arg hilflos.“ Man dürfe sich selbst nicht in Gefahr bringen, sondern solle mit Polizei und Presse in Kontakt treten, befand ein anderer Diskussionsteilnehmer.
Dieses Treffen, und dabei miteinander ins Gespräch zu kommen, sei wichtig gewesen, meinte Braunsbachs Bürgermeister David Beck am Ende. Er dankte den beiden Journalisten für die „sehr wertvolle Arbeit für uns und unsere Gemeinde“.
Wir stehen klar für Demokratie und Vielfalt. Wir ignorieren solche Gruppen nicht. David Beck Bürgermeister von Braunsbach