Ein Kasper in der Vorhölle der Langsamkeit
Ich habe schon Angst gehabt, es bleibt so hell, dass ich mir den ganzen Abend eure furchtbaren Gesichter anschauen muss. Aber so geht es einigermaßen.“ Mit den ersten Worten seines Programms „Langsam“ kommt Matthias Egersdörfer schnell zum Punkt seines Auftritts. Der Authentizität. Oder der gespielten Authentizität. „Weiß man‘s?“ Er betritt die Bühne im gut besetzten Haller Globe, die Beleuchtung im Zuschauerbereich geht aus und er freut sich, dass er das Publikum nicht mehr sehen muss. Keine Begrüßung, nur entwaffnende Ehrlichkeit, die bisweilen schon fast etwas brüskiert und nicht immer leicht auszuhalten ist. Da darf man als Zuschauer nicht zimperlich sein.
Das Ganze verkündet er natürlich auch nicht in Schrift-Deutsch, sondern in seinem fränkischen Dialekt. Der ist nicht gespielt. Der ist innere Haltung. Aber: „Weiß man‘s?“ Das Fränkische verleiht seinen Ausführungen eine tiefe Erdung, die seinen Worten eine Art poetischer Unbestechlichkeit beschert. Was auf Hochdeutsch nach Formulierung klingt, ist in Egersdörfers Sprache generationenübergreifende fränkische Erfahrung.
Die Uhr steht still
„Ich war im August mit der Frau im Urlaub“, plaudert der auf Einladung des Konzertkreises Triangel und des Haller Kulturbüros auftretende Kabarettist drauflos. „Was soll man sonst auch immer so machen mit der Frau?“ Denn schließlich haben sie in ihrer Wohnung Ecken, da habe er schon so oft „hingeschaut“, dass er jetzt, wenn er wieder hinschauen müsse, einfach die Augen schließen würde. Und außerdem gebe es da noch eine Kuckucksuhr. Die seit Langem still stehe, weil keiner sie aufzieht. „Frauen boxen, fliegen ins Weltall und machen Stierkampf“, erklärt er seiner Gattin, „da kannst du doch auch einmal eine Uhr aufziehen.“ „Wenn man es günstig erwischt“, so der grantige Poet der Langsamkeit, könne man die richtige Zeit trotzdem ablesen.
Zu Hause würde man nach zwei Stunden Fahrt mit dem Nahverkehr den Überblick verlieren. Im Urlaub sei das viel besser. „Aus dem Hotel raus. Zweimal links und zweimal rechts gelaufen und schon brauchst du zweieinhalb Stunden, um wieder zurückzufinden.“ Im Hotel „belastet“ ihn das üppige Frühstücksbüfett. „117 Meter lang, davon 25 Meter nur Brot.“ Er würde sich Preisschilder wünschen, damit man weiß, wann man die Kosten für den Urlaub wieder „reingefressen“ habe. „So stelle ich mir die Hölle vor“ orakelt er bei seinen weiteren Überlegungen zum Thema Frühstücksbüfett.
Immer wieder bezieht er die Zuschauer in seine Ausführungen mit ein. „Was steht bei Matthäus 8, Vers 28?“, fragt er. Zahlreiche Meldungen, aber keine richtige Antwort. „Ich war einmal in Dresden, da habe ich nichts als Antwort erwartet“, zeigt er sich enttäuscht. „Dort muss man ja schon froh sein, wenn die an Ostern kein Kind opfern.“ Er erklärt den Bibelvers als „Kollateralschaden im Zusammenhang mit Wundern“. Immer wieder droht er „Es wird nicht lustig“ und spricht über „Minimalinvasive Renovierungen“ und darüber, wie er trotz aller Berufswünsche zum „Kasper“ geworden ist, der auf der Bühne steht.
Die „brünftige Nachtigall“, wie er sich selbst bezeichnet, empfiehlt den Kauf seiner CDs, um damit „Ratten zu vertreiben.“ Egersdörfer ist kein Kabarettist, der mit einem Feuerwerk an Pointen glänzt oder mit politischer Schärfe überzeugt. Er schimpft, schweigt, sinniert und überrascht mit einem Zitat von Dostojewski. „Der Mensch ist unglücklich, weil er nicht weiß, dass er glücklich ist.“
Ein grantiger Poet der Langsamkeit, ein Bühnencharakter, der sich nicht hetzen lässt. Keine leichte Kost für die Zuschauer. Allein sein Schweigen kann schon wehtun. Er ist der liebe fränkische Nachbar, der vorbeikommt, um sein Herz auszuschütten. Wenn er wieder geht, atmet man erst einmal tief durch. „Mir hat es hier sehr gut gefallen“, verabschiedet sich Matthias Egersdörfer.
Mundart Der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer erklärt im Schwäbisch Haller Globe, wie die Welt auszuhalten ist. Und das ist manchmal schwer auszuhalten.
Frauen fliegen ins Weltall und machen Stierkampf, da kannst du doch eine Uhr aufziehen.