Das Potenzial wird sichtbar
VfB Stuttgart Das Hoeneß-Team braucht einen Anführer auf dem Platz. Eine maßgeschneiderte Rolle für Rückkehrer Deniz Undav. Der ließ sich auch von Anfeindungen in Istanbul nicht groß beeindrucken.
Fußballspiele werden zuallererst im Kopf gewonnen, danach kommt der rein sportliche Wettkampf auf dem Rasen. Und, ganz wichtig, es braucht eine gewisse Rotzigkeit, wenn man sich durchsetzen will. Etwas weniger salopp: Nur wer die notwendige Attitüde an den Tag legt, wird siegen können. Solch ein Spieler ist Deniz Undav.
In Istanbul, bei der 0:1-Niederlage gegen Fenerbahçe in der Europa League, bekam er von Trainer Sebastian Hoeneß rund 30 Minuten. In denen zeigte der Nationalstürmer genau das, was es in der Hitze einer Schlacht wie der im Sükrü-Saracoglu-Stadion braucht. Unerschrockenheit, Angriffslust, breite Brust, eine gewisse Prise Provokation – all das brachte der Stürmer auf den Platz.
Was Undavs Auftritt auch noch mit sich brachte, waren wieder einmal rassistische Angriffe im Netz. Denen sieht sich der in Varel im Ostfriesland geborene Torjäger mit kurdisch-jesidischen Wurzeln ausgesetzt, seit er sich einst für den DFB und gegen den türkischen Verband entschieden hat. „Ich wusste, dass ich bei zwei, drei schlechten Spielen für die Türkei komplett durchbeleidigt worden wäre“, sagte er dazu. Menschen mit kurdischer Abstammung begegnet dort häufig Diskriminierung.
„War geil“, sagte Undav nach seiner Türkei-Premiere im Interview auf RTL+, „die haben nur gepfiffen und gebuht. Sowas spornt mich und uns eigentlich an, aber es hat heute leider nicht geklappt, dass wir das ummünzen konnten und das Spiel gewinnen“. In der Folge „entbrannten in den sozialen Medien erneut rassistische und antikurdische Hetzkampagnen“ gegen ihn, ließen die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus (IAKR) und der Zentrale Menschenrechtsrat der Kurdinnen und Kurden in Deutschland (ZMRK) wissen und sprachen von einer „gezielten und ethisch motivierten Kampagne“ gegen Undav. Doch unabhängig davon war zu beobachten, dass sich Stuttgarts Spiel zum Positiven veränderte in den gut 30 Minuten, in denen Undav auf dem Platz stand. Rein sportlich betrachtet. Denn der Stürmer zeigte sich immer anspielbar, sammelte gute 13 Ballkontakte ein und brachte dem VfB grundsätzlich mehr Präsenz im letzten Drittel, wo es insgesamt an Durchschlagskraft mangelte.
Eine Großchance vergeben
Und er hatte in der 82. Minute die Chance auf dem Fuß, die dem VfB den verdienten Punkt hätte bringen können. Mit der Betonung auf hätte, Undav streichelte den Ball weit rechts am Pfosten vorbei. „Das war sicherlich unsere größte Chance im Spiel“, sagte Hoeneß. „Deniz hat schon oft bewiesen, dass er solche Gelegenheiten verwandeln kann“, legte der Trainer nach und nahm seinen Stürmer, aber auch die restliche Mannschaft in die Pflicht. Man habe „schon mehr Push von außen bekommen zuletzt“, als an diesem Abend von Istanbul.
Nun kommen die beiden Duelle gegen Mainz am Sonntag, 17.30 Uhr, in der Bundesliga und am Mittwoch, 18 Uhr, im DFB-Pokal. Da braucht der VfB mehr denn je einen Anführer auf dem Platz. Ermedin Demirovic wird es nicht sein können: Er ist verletzt. Der VfB braucht also den einen, der die Richtung vorgibt, vorangeht, seine Kollegen mitzieht. Einsatz nah am Maximum bringt, dem Gegner Grenzen aufzeigt. Im besten Fall noch das Tor trifft. Einen wie Deniz Undav.
Scheint so, als sei der Zeitpunkt gekommen, auf den der Angreifer selbst schon länger hinfiebert. „Ich war nicht zufrieden mit meiner letzten Saison“, sagte er unlängst. Er habe unter anderem „zu wenig Tore gemacht. Ich werde alles dafür geben, wieder an die gute Vizemeistersaison anknüpfen zu können“. Am besten schon am Sonntagabend daheim gegen Mainz.