Kommt die Reform der Reform?
Pflegereform Während der Göppinger CDU-Bundestagsabgeordnete Hermann Färber erste Vorschläge aus Berlin befürwortet, kommt von den Kassen Kritik.
In Berlin ist die Debatte um eine Reform in der Pflege entbrannt. Der Bundestagsabgeordnete des Landkreises Göppingen Hermann Färber ist über die aktuelle Diskussion wenig überrascht. „Die Regierungskoalitionen haben sich im Koalitionsvertrag auf eine Reform der Pflege verständigt, um den wachsenden Herausforderungen zu begegnen“, sagt der CDU-Politiker. Das werde nun aktiv angegangen. Dabei sei eine Mischung aus kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen geplant. Ziel der Reform sei es unter anderem, die nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung zu sichern und die ambulante sowie häusliche Pflege zu stärken.
Die Grundlagen für diese Reform erarbeite derzeit eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Ministerebene, unter Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände. Das Gesundheitsministerium gab in der vergangenen Woche in einem ersten Zwischenbericht bekannt, dass die Pflegegrade weiterhin bestehen bleiben. Es dementierte damit Meldungen, dass eine Abschaffung des Pflegegrads 1 geplant sei. „Die Diskussion um die Abschaffung des Pflegegrads 1 geht auf eine Falschmeldung der Medien zurück. Tatsache ist, dass die Abschaffung des Pflegegrads 1 in der Koalition nicht konkret zur Debatte steht“, betont Färber. Wohl aber eine Reform, die auch beim Pflegegrad 1 ansetzt.
Über 15.000 Pflegebedürftige
„Dieser zielt aktuell darauf ab, die Selbstständigkeit im Alltag der Betroffenen möglichst lange zu erhalten und eine frühzeitige Unterstützung und damit auch eine häusliche und ambulante Versorgung zu ermöglichen“, betont Clarissa Weber, Pressesprecherin vom Landratsamt Göppingen, das auch den Pflegestützpunkt im Kreis betreibt. Insgesamt 15.560 pflegebedürftige Menschen gebe es im Kreis Göppingen. Davon seien 566 Personen, die ausschließlich Unterstützungsangebote im Alltag nutzen, in den Pflegegrad 1 eingestuft. Zentral sei dabei der monatliche Entlastungsbetrag in Höhe von 131 Euro. „Dieser kann derzeit für anerkannte Angebote zur Unterstützung im Alltag eingesetzt werden, etwa für haushaltsnahe Dienstleistungen, stundenweise Betreuung zu Hause oder Betreuungsgruppen – beispielsweise für Menschen mit Demenz“ so Weber.
An dieser Stelle setze ein Teil der geplanten Neuausrichtung an. So solle der Pflegegrad 1 bleiben, sich aber stärker auf Prävention ausrichten. „Bisher konnte der sogenannte Entlastungsbetrag beispielsweise zur Bezahlung einer Putzkraft eingesetzt werden. Wir wollen künftig pflegebedürftige Menschen noch früher im Pflegeverlauf erreichen und rechtzeitig präventiv-pflegerische Maßnahmen anstoßen“, erklärt Färber. Damit erreiche man, dass ältere und kranke Menschen so lange wie möglich zu Hause leben können. Die entscheidende Frage dabei sei, wie mit den hinterlegten Leistungen die beabsichtigten Ziele erreicht werden.
Erst vor acht Jahren gab es in Deutschland eine groß angelegte Pflegereform. Seitdem werden Pflegebedarfe laut dem Landratsamt Göppingen nicht mehr nach dem Zeitaufwand der Pflege, sondern nach dem Grad der Selbstständigkeit und den noch vorhandenen Fähigkeiten beurteilt. Die Begutachtung erfolge anhand von sechs Lebensbereichen, die unterschiedlich gewichtet werden. Dazu zählen unter anderem die Mobilität, die kognitive und kommunikative Fähigkeiten oder auch die Verhaltensweisen und psychische Problemlagen.
„Mit dem neuen System werden insbesondere Menschen mit Demenz oder psychischen Erkrankungen besser erfasst, da nicht mehr nur körperliche Einschränkungen im Mittelpunkt stehen, sondern die gesamte Alltagskompetenz eines Menschen“, erklärt Weber. Grundsätzlich sei festzuhalten, dass es angesichts der demografischen Entwicklung und der steigenden Pflegekosten eine sachliche und ehrliche Diskussion darüber brauche, wie die Pflege in Deutschland langfristig finanziell und personell gesichert werden kann. Die häusliche und ambulante Versorgung spiele dabei laut Weber eine zentrale Rolle.
AOK übt Kritik an der Regierung
Scharfe Kritik zu den in den vergangenen Wochen widersprüchlichen Meldungen aus Berlin kommt von den bei den Krankenkassen angesiedelten Pflegekassen. „Statt Pflegebedürftige und pflegende Angehörige immer wieder mit unausgegorenen Einzelvorschlägen zu verunsichern, müssen die Bundesregierung und die Bund-Länder-Arbeitsgruppe nun endlich ihren Job machen“, fordert die Geschäftsführerin der AOK Neckar-Fils Heike Kallfass. Man brauche eine umfassende Strukturreform in der Pflege statt Kürzungsorgien. Das Leistungsrecht in der Pflege müsse so schnell wie möglich vereinfacht, flexibler gemacht und an den Bedürfnissen der Pflegebedürftigen ausgerichtet werden.
Die Abschaffung des Pflegegrads 1 steht in der Koalition nicht konkret zur Debatte. Hermann Färber Bundestagsabgeordneter