Der teure „gute Ganztag“

  • Nachmittags in der Schule: Immer mehr Grundschüler besuchen Betreuungsangebote nach dem Unterricht. Foto: Arne Dedert/dpa

Bildung Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschüler kostet das Land Hunderte Millionen Euro – aber auch Eltern werden zur Kasse gebeten.

Monatelang haben Land und Kommunen verhandelt, kürzlich einigte man sich: Städte und Gemeinden erhalten in den kommenden Jahren hunderte Millionen Euro für den Betrieb von Ganztagsangeboten für Grundschüler. Doch das deckt die erwarteten Kosten nicht. Ein Überblick:

Worum geht es? Kinder, die im Herbst 2026 in die erste Klasse kommen, haben als erster Jahrgang in Deutschland einen Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung und Betreuung. Der Anspruch tritt stufenweise in Kraft. Zunächst gilt er nur für Erstklässler und wächst dann bis 2029/30 auf alle Grundschüler auf.

Was umfasst der Anspruch? Bildung und Betreuung an fünf Tagen pro Woche, jeweils acht Stunden – also auch am Nachmittag, über den Unterricht hinaus. Der Anspruch erstreckt sich auch über die Ferien, nur vier Wochen pro Jahr sind ausgenommen. Das ist vor allem für die zuständigen Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg eine riesige Herausforderung, da im Südwesten sowohl das System der Ganztagsschulen als auch der flexiblen kommunalen Nachmittagsbetreuung deutlich schwächer ausgebaut ist als in anderen Bundesländern. Land, Kommunen und Partner-Organisationen, die zur Betreuung eingebunden werden sollen, haben sich auf das Leitbild eines „guten Ganztags“ verständigt. Demnach soll das einzelne Kind mit seinen Bedürfnissen und Interessen im Mittelpunkt stehen. Qualitätsvorgaben oder Standards wie in Kitas – etwa zu Gruppengrößen, qualifiziertem Personal oder Inhalten – gibt es aber explizit nicht.

Wie weit sind die Vorbereitungen? Als Faustregel gilt: Je größer der Ort, desto größer bereits jetzt die Nachfrage, desto besser auch das Angebot. Reguläre Ganztagsschulen, die bundesweit große Teile des Rechtsanspruchs erfüllen dürften, sind im Südwesten noch Mangelware. Flexibel buchbare kommunale Betreuungsangebote gibt es aber fast überall – doch längst nicht überall in den künftig geforderten Umfängen.

Inwiefern sind die Finanzen geklärt? Fest steht inzwischen, wie viel Geld Bund und Land den Kommunen in Baden-Württemberg zu diesem Zweck zuschießen. Für nötige Investitionen stellt der Bund 358 Millionen Euro zur Verfügung und das Land 861 Millionen. Auch den laufenden Betrieb fördern Bund und Land. Man gehe dabei von gut vier Euro pro Kind pro Stunde Betreuung aus, teilt ein Sprecher des Landes-Finanzministeriums mit. Zu Beginn übernehmen Bund und Land 68 Prozent der kalkulierten Kosten. Der Bund überweist 172 Millionen Euro pro Jahr. Das Land zahlt im Schnitt der ersten vier Jahre 150 Millionen pro Jahr – bis 2030 also 600 Millionen Euro. „Im Jahr 2030 erfolgt dann eine Evaluierung auf Basis der Ist-Kosten.“

Deckt das die Kosten? Nein, Land und Bund tragen gemeinsam 68 Prozent. Der Rest muss aus kommunalen Haushalten und durch Elternbeiträge aufgebracht werden. „Der Rechtsanspruch ist nicht kostenfrei zu gewährleisten. Eine Entgelterhebung ist möglich und notwendig“, sagt Norbert Brugger, Bildungsexperte des Städtetags. Im Endausbau erwarte man Gesamtkosten von bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr. Begrenzend dürfte wirken, dass die benötigten Fachkräfte gar nicht verfügbar sind.

Womit müssen Eltern rechnen? Das hängt stark von Wohnort, Finanzlage und Prioritätensetzung der jeweiligen Kommune ab. Ein landesweites Verzeichnis der aktuellen Gebühren gibt es nicht. Eventuell werde man sich nach ersten Erfahrungen zur Beitragshöhe zwischen den Kommunen abstimmen, kündigt Brugger an. Was Personal, Verwaltung und Mittagessen kosten, hängt von der Qualität ab – und der Elternbeitrag davon, inwiefern die Kommune das Angebot finanziert. Immer öfter hört man, vor allem in kleinen Gemeinden, von dreistelligen Beträgen pro Monat. Viele Kommunen staffeln Gebühren nach sozialen Gesichtspunkten, gewähren „Geschwister-Boni“ und Ähnliches. „Aktuell sind die Kosten total unterschiedlich“, sagt Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats. Teils seien Angebote qualitativ sehr gut. „Aber in manchen Kommunen beaufsichtigt auch eine nette Oma 30 Kinder beim Rumtoben.“ Kölsch fürchtet zudem, dass die in schweren Finanznöten steckenden Kommunen Bildung als Bereich identifizieren, in dem gespart werden kann. Dann könnte es für Familien teurer werden.

Was sagen Praktiker? Die Stadt Ulm hat für den Städtetag detailliert erhoben, was Angebote real kosten. Demnach liegen die kommunalen Kosten – je nach Modell, Qualität und Auslastung – pro Klasse und Jahr zwischen 110.000 und 235.000 Euro allein in der Einrichtung. Hinzu kommt noch Personal in der Verwaltung.

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