Roman

  • Cover Klett-Cotta, Stuttgart

Das hat mich geärgert. Weil, das stimmt überhaupt nicht. Ich habe Angst vor Gott im Paradies. Das hat der Onkel Eugen genauso wenig verstanden wie Mama.

Wir sind dann ins Wohnzimmer gegangen. Dort stand ein riesiges Puppenhaus. Das hat mal Gesine gehört. Ich wollte sofort spielen. Aber Onkel Eugen hat die Bibel rausgeholt und sich neben Mama auf das Sofa gesetzt. Und dann hat er gesagt, er würde das gerne verstehen. Ob ich erlaube, dass er uns die Stelle mit Gott im Paradies vorliest? Ich habe keine Angst, wenn Onkel Eugen und Mama zusammen sind.

Also.

Eva will die leckeren Äpfel nicht essen. Weil Gott gesagt hat, davon kann man krank werden. Aber die Schlange sagt, das stimmt gar nicht. Gott ist ein Lügner. Die Äpfel machen einfach nur schlau. So schlau wie Gott. Dann weiß man nämlich, was das Gute und was das Böse ist. Mama hat gesagt, ich soll auch mehr Äpfel essen. Damit ich schnell schlauer werde.

Am Abend, als es kühler wurde, hörten sie, wie Gott, der HERR, durch den Garten ging. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor Gott zwischen den Bäumen. Aber Gott rief nach dem Menschen: „Wo bist du?“

Und das ist die Stelle.

Eugen und Mama haben das immer noch nicht verstanden. Also habe ich es erklärt. Eva und ihr Mann, die haben was angestellt. Oder nicht, das ist nämlich egal. Weil, Gott ist sauer. So richtig doll sauer. Und er ist Gott, ja? Also verstecken sich die Menschen im Gebüsch. Im Paradies, da kann man sich bestimmt gut verstecken! Aber es hilft nichts. Der Herr geht durch seinen Garten. Und er sucht nach ihnen. Der merkt, dass die sich versteckt haben. Das ist ihm gar nicht egal, das macht ihn noch wütender. Er will sie finden. Und die Menschen hören, wie er durch den Garten geht.

Sie hören seine Schritte, bumm, bumm, bumm.

Da hat die Mama mir einen Kuss gegeben. Und Onkel Eugen hat mich ganz lange angeguckt. Dann hat er gesagt, dass er das jetzt versteht. Und dann durfte ich endlich mit dem Puppenhaus spielen.

Onkel Eugen hat gesagt, vielleicht schenkt mir Gesine das Puppenhaus. Die ist schon groß und braucht das bestimmt nicht mehr. Dann haben sich die Mama und Onkel Eugen auf das Sofa gesetzt und vorgelesen. Ich habe extra ganz leise gespielt, um sie nicht zu stören. Die Stimme von Mama hat geklungen wie eine Geige. Und die Stimme von Onkel Eugen auch. Das war schön. Zwei Geigen. Einmal habe ich gedacht, die Mama weint. Als ich hingeguckt habe, hat sie aber gelacht. Das gibt’s!

Es ist schon dunkel geworden, da haben die Sirenen geheult. Das fand ich sehr schade. Weil es doch gerade so schön war. Ich wollte nicht in den dummen Keller. Ich wollte nicht, dass der Abend aufhört. Mama und Onkel Eugen haben sich kurz angeguckt. Und dann haben wir beschlossen, dass wir heute auch davor mal keine Angst haben. Ausnahmsweise, hat Mama gesagt. Ausnahmsweise lassen wir uns einen schönen Abend mal nicht von den Sirenen kaputtmachen. Also sind wir im Wohnzimmer geblieben. Ich habe Onkel Eugen gesagt, Sirenen sind Instrumente zum Blasen. Das wusste der noch gar nicht. Mama hat mich gefragt, was für eine Tonart eine Sirene hat. Darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Ich kann gar kein Klavier, aber ich höre ja die Töne. Mama und Onkel Eugen sitzen auf dem Sofa und hören mir zu, wie ich den Sirenen zuhöre. Mama hat ihren Kopf an die Schulter von Onkel Eugen gelegt. Sie hat rote Backen. Er ist frische Luft. Das finde ich schön.

Mir fällt auf, dass das Klavier ein Schlaginstrument ist. Darüber habe ich auch noch nie nachgedacht. Ich mag es, wenn beim Denken plötzlich neue Sachen auftauchen. Sachen, die vorher noch gar nicht da waren.

Ich lausche auf die Sirenen und schlage die Tasten dazu an. Ich höre ganz genau hin. Da ist noch ein anderes Geräusch, wird langsam lauter. Es klingt wie Gott, der durch das Paradies geht und seine Menschen sucht, bumm, bumm, bumm.

Das Zugrundegehen ringsum geht Uta schon nichts mehr an. Sie stillt ihren Durst am Neptunbrunnen. Das Licht war rot, jetzt wird es ringsum grün. Das Wasser ist lauwarm, die Luft glutheiß.

Fortsetzung folgt

© Klett-Cotta, Stuttgart

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