Zweifel an Losverfahren mehren sich
Bundeswehr „Dramatik rausnehmen“ – so ist die Devise der Koalition nach dem Wehrdienst-Chaos vom Dienstag.
Berlin. Der Bundeskanzler äußert sich in der Sache vorerst nicht: In seiner Regierungserklärung zum EU-Gipfel ging Friedrich Merz (CDU) zwar ausführlich auf das Thema Verteidigungsfähigkeit ein, zum aktuellen Drama um den Wehrdienst in seiner Koalition verlor er allerdings kein Wort. Verwunderlich ist das nicht, handelt es sich doch um einen aus Regierungssicht wirklich ärgerlichen Streit. Er rate „allen, die Dramatik rauszunehmen“, hatte sein Sprecher Stefan Kornelius bereits am Vortag gemahnt und sich ansonsten geweigert, Merz’ Bewertung des Vorgangs preiszugeben. Nachweisbar ist allerdings, dass auch Merz dem nun so umstrittenen Gesetzentwurf seines Verteidigungsministers im August im Kabinett zugestimmt und ihn anschließend sogar gemeinsam mit Boris Pistorius (SPD) öffentlich präsentiert hatte. Seither allerdings ließ der Kanzler hin und wieder erkennen, dass er Freiwilligkeit für auf die Dauer nicht ausreichend hält.
Offen ist allerdings, ob Merz die am Dienstag von der Koalition zunächst gefundene und dann wieder zurückgezogene Lösungsvariante Losverfahren für ausreichend hält. Gegen dieses Vorgehen mehren sich derweil die Vorbehalte, sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ließ „Zweifel“ erkennen.
Auch politisch hagelt es Kritik
Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio kam in einem Gutachten für die Unionsfraktion zu dem Schluss, dass eine „Kontingentwehrpflicht“ und ein Losverfahren zulässig wären. Inzwischen gibt es aber auch gegenteilige Stimmen. Im Zweifel müsste künftig das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Politisch hagelt es ebenfalls Kritik: Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge machte Merz für den Schlamassel verantwortlich und beklagte eine tiefe Verunsicherung der Bürger. „Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht“, sagte sie nach der Regierungserklärung des Kanzlers.
Ein Bündnis der Jugendorganisationen von SPD, Grünen und der Linken sowie von Studierenden und der Jugendabteilungen von Gewerkschaften und Umweltverbänden wandte sich derweil gegen jegliche Form einer Wehrpflicht. „Für uns ist klar: Wir sind dagegen, Menschen zum Dienst an der Waffe zu zwingen“, heißt es in ihrer Mitteilung.
Im Raum steht die koalitionsintern gefundene Lösung, junge Männer per Losverfahren zur Musterung einzuladen und gegebenenfalls zum Dienst zu verpflichten, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden. Pistorius lehnt das ab, weil er ab 2027 alle jungen Männer mustern lassen will. Hintergrund der Debatte ist das Ziel, die Bundeswehr nicht zuletzt aufgrund der Nato-Anforderungen auf 460.000 aktive Soldaten und Reservisten aufzustocken.