Ein Gesellenstück

  • Ellen Hasenkamp Chefreporterin NBR Sarah Eick

Ein Wahlsieg der Union, ein Konservativer als Kanzler, eine Mehrheit rechts der Mitte  – und trotzdem ständig Rücksicht auf die SPD? Warum Friedrich Merz (SPD) auch nach dem Koalitionsausschuss im Dilemma steckt.

Ex-Bundeskanzler Olaf Scholz hat dieser Tage eine Brandenburger Wasserbüffelherde besucht und sich – ausweislich der Fotos – bei den Rindviechern wohl gefühlt. Als SPD-Bundestagsabgeordneter wollte er auf diese Weise Werbung für die Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Naturschutz machen. Vielleicht aber diente der Körperkontakt mit den Warmblütern auch der persönlichen Stressbewältigung.

Es wäre jedenfalls wenig verwunderlich, wenn Scholz dieser Tage mit Blick auf seinen Nachfolger Friedrich Merz (CDU) ordentlich Puls hätte. Was insbesondere an dessen äußerst flexibler Einschätzung des Einsparpotenzials von Bürgergeld-Reformen liegen könnte. Denn im Wahlkampf musste sich Scholz in diversen TV-Duellen mit einem Merz herumschlagen, der zweistellige Milliardenbeträge herauszuholen in Aussicht stellte und im Grunde genommen versprach, die Aufrüstung der Bundeswehr ließe sich locker mit Kürzungen im Sozialbereich gegenfinanzieren. Das klingt inzwischen ganz anders.

„Der Betrag wird sehr klein sein“, sagte die zuständige Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Merz nickte dazu. Von Milliarden keine Spur mehr. Dass der CDU-Kanzler nach dem Koalitionsausschuss dennoch zufrieden dreinschaute, liegt am Erfolg seiner Union in symbolischer Hinsicht: „Das Bürgergeld ist Geschichte“, fasst es CSU-Chef Markus Söder zusammen – was ausnahmsweise einmal nicht übertrieben ist.

Nach einem vermurksten Sommer und jeder Menge Gruppentherapie im Frühherbst kann man die Bürgergeld-Grundsicherungs-Umgestaltung also als eine Art Gesellenstück von Schwarz-Rot bezeichnen – als Beleg dafür, dass diese Koalition in höchst strittigen Fragen einigungsfähig ist. Und als zumindest in Unionskreisen dringend nötigen Beleg dafür, dass der harte Reformerhund Merz aus dem Wahlkampf sich nicht gänzlich von der Sozialdemokratie hat an die Kette legen lassen.

Die Ungeduld in CDU und CSU hatte in den vergangenen Wochen jedenfalls spürbar zugenommen: ein Wahlsieg der Union, ein Konservativer als Kanzler, eine Mehrheit rechts der Mitte im Bundestag – und trotzdem ständig Rücksicht auf die SPD? Wann, so die Frage vieler Christdemokraten und Christsozialer, geht es denn nun endlich los? Die Gefahr dabei: Je länger es dauert, desto größer womöglich die Bereitschaft der einen oder des anderen, die Brandmauer zur AfD zu durchbrechen.

Dann allerdings wäre Merz die längste Zeit Kanzler gewesen. Seine schwierige Aufgabe an der Koalitionsspitze also: Die SPD im Spiel halten, ohne die eigenen Leute zu verprellen. Offen bleibt, ob die angefangenen und geplanten Reformen die Stimmung im Land drehen können. Oder ob Zumutungen aller Art vorerst dazu führen, dass es für die, die sie schon lange fordern, längst nicht genug, und für die, die es betrifft, ein neuer Anlass zur Empörung ist. Und weil es dauern wird, bis die Maßnahmen für die sehnlich erwartete Wirtschaftsbelebung sorgen, könnte sich die Laune sogar erst noch verschlechtern. Die Koalition muss dann beweisen, dass sie das durchsteht.

leitartikel@swp,de

Merz‘ schwierige Aufgabe: Die SPD im Spiel halten, ohne die eigenen Leute zu verprellen.

VORHERIGER ARTIKEL NÄCHSTER ARTIKEL