Deutliche Verschärfungen
Bürgergeldreform Lange saßen die Spitzen von Union und SPD zusammen. Am Ende stehen Einigungen – aber auch Zumutungen.
Der Kanzler ist voll des Lobes, trägt es allerdings nicht besonders variantenreich vor. „Ausgesprochen gut“, sei die Atmosphäre gewesen, sagt Friedrich Merz (CDU) am Morgen nach dem bislang längsten Koalitionsausschuss seiner Amtszeit, „sehr, sehr gut“ die Zusammenarbeit und „wirklich gut“ das Erreichte. Das allerdings war es dann auch zur B-Note der Beratungen: Diesmal also keine Anekdoten zum gemeinsamen Bierkonsum beispielsweise. Nach all den Team-Building-Maßnahmen der letzten Wochen ist Schwarz-Rot im Arbeitsmodus angekommen – das soll die Botschaft sein nach der nächtlichen Sitzung im Kanzleramt.
Dass diese trotz intensiver Vorbereitungen nicht nur harmonisch ablief, lässt sich aber schon an der schieren Dauer von zehn Stunden erkennen. Das bezeugt außerdem die Aufnahme eines wacker ausharrenden Kameramannes, der hinter den erleuchteten Fenstern des Kanzleramts einen engagiert gestikulierenden CSU-Parteivorsitzenden Markus Söder filmte. SPD-Chef und Vizekanzler Lars Klingbeil fasst das in dem Satz zusammen, man müsse „auch gar nicht so tun, als ob wir schon mit einer geeinten Position in den Raum reingegangen sind“.
Rausgegangen sind die drei Parteien dann mit einem geeinten Papier, das es in sich hat. Vor allem SPD-Mitglieder dürften schockiert sein. Das Bürgergeld, vom damaligen Sozialminister Hubertus Heil als „größte Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“ bezeichnet, heißt fortan nicht nur Grundsicherung, sondern enthält diverse Zumutungen für Genossen-Mägen.
Sanktionen für Leistungsbezieher, die Termine verpassen oder Jobangebote ablehnen, werden deutlich verschärft. Wer einen Termin versäumt, wird unverzüglich zum zweiten eingeladen – wird der verpasst, werden die Leistungen um 30 Prozent gekürzt. Wird auch ein dritter Termin versäumt, „werden die Geldleistungen komplett eingestellt. Erscheint der Leistungsberechtigte zum darauffolgenden Monat nicht, werden alle Leistungen einschließlich Kosten der Unterkunft komplett eingestellt“, heißt es in dem Papier.
Bei einer Pflichtverletzung, wie etwa der Ablehnung einer Weiterbildung, gibt es 30 Prozent weniger. Wenn ein Job abgelehnt wird, sollen die Geldleistungen gestrichen und die Unterkunftskosten direkt an den Vermieter überwiesen werden. Das soll verhindern, dass mithilfe der Mietzahlungen gekürzte oder gestrichene Regelsätze ausgeglichen werden. Mit vollständigen Kürzungen aber bewegt sich die Koalition auf einem verfassungsrechtlich schmalen Grat. Die konkrete Ausformulierung steht allerdings noch aus.
Das klingt anders als alles, womit die SPD in den Bundestagswahlkampf gezogen ist. Jetzt ist die Reform des Bürgergeldes nach den Worten des SPD-Fraktionsgeschäftsführers Dirk Wiese „eine wichtige Wegmarke“. Die SPD habe „immer betont, dass wir diese Reform wollen und sie vorantreiben“. Bei den Ergebnissen ist Wiese besonders wichtig, „dass die Qualifizierung von Arbeitslosen weiter im Vordergrund steht und Jugendliche dabei besonders berücksichtigt werden“. Regelrecht stolz sind die Sozialdemokraten darauf, dass es ihnen gelungen ist, der Union abzuringen, Kürzungen nur zuzulassen, wenn das destruktive Verhalten von Menschen, die staatliche Hilfe in Anspruch nehmen, „keine nachweislich gesundheitlichen oder andere schwerwiegende Gründe hat. Sanktioniert werden sollen die, die nicht mitwirken wollen, nicht die, die nicht können“.
Auch für die SPD-Vize-Fraktionsvorsitzende Dagmar Schmidt – die gemeinsam mit CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann wochenlang die Reformen verhandelte – sind die neuen Regelungen „ein guter und verantwortungsvoller Kompromiss“.
Kritik an den Plänen kam am Donnerstag von der Opposition – Timon Dzienus, Berichterstatter für das Bürgergeld der Grünen-Bundestagsfraktion, sagte dieser Zeitung: „Die Bundesregierung ist Weltmeister im Nach-Unten-Treten. Die Änderungen beim Bürgergeld sind schlecht für Betroffene, für Beschäftigte und helfen nicht mal dem Bundeshaushalt.“ Die Totalsanktionen könnten Familien „in Wohnungslosigkeit und Verzweiflung stürzen“. Aus seiner Sicht werden die Neu-Regelungen verfassungsrechtlich nicht haltbar sein. Es brauche bessere Qualifizierung statt härterer Strafen – die Regierung sei mit dieser Reform „auf dem völligen falschen Weg.“
Anders sehen es die Praktiker: „Die aktuellen Vorhaben greifen wichtige Wünsche der Jobcenter auf“, heißt es auf Nachfrage bei den Berliner Jobcentern. Bei der Arbeit in den Jobcentern gehe es nicht um Bestrafung, sondern um Beratung. Voraussetzung dafür sei das gemeinsame Gespräch zwischen Menschen und Jobcentern – gelinge dies nicht, brauche es „klare und auch anwendbare Möglichkeiten, Leistungsminderungen auszusprechen“. Nach dem Koalitionsausschuss habe man nun einen ersten Eindruck der Weiterentwicklung einer Grundsicherung. „Jetzt heißt es zunächst die gesetzlichen Regelungen abzuwarten.“
Mit vollständigen Kürzungen bewegt man sich auf einem schmalen Grat.