Vom verlassenen Gotteshaus zur Hochzeits-Location

  • 750 Jahre Stephanus-Kirche in Sondelfingen: (von links) Kurt Ziegler, Mike Bezirksbürgermeister Schenk und Reutlingens OB Thomas Keck bei der Programm-Präsentation. Foto: Thomas de Marco
  • 1275 erstmals urkundlich erwähnt: die Stephanus-Kirche. Foto: Thomas de Marco

Sondelfingen Fest für das Jubiläum mit fünf Veranstaltungen. Daraus soll eine regelmäßige Nutzung des Gebäudes mit Konzerten und Aufführungen werden.

Ein Sondelfinger Schmuckstück wäre in den 1960er-Jahren fast verfallen oder gar abgerissen worden, wenn sich engagierte Bezirksgemeinderäte nicht für den Erhalt der Stephanus-Kirche eingesetzt hätten. Heute ist das 1275 erstmals urkundlich erwähnte Gotteshaus, das 1960 durch den Neubau der wesentlich größeren Johanneskirche ersetzt wurde, ein „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“ und eine gefragte Hochzeits-Location. Vom 18. bis 26. Oktober feiert der Reutlinger Ortsteil das Jubiläum 750 Jahre Stephanuskirche mit mehreren Veranstaltungen.

Paare kommen von nah und fern

Ein besonderer Blickfang der ursprünglich nur sechs Meter breiten und danach ständig erweiterten Kirche ist die bunte Ausgestaltung des Innenraums: Die ersten Fresken stammen aus dem 14. Jahrhundert, weitere sind im 17. Jahrhundert drübergemalt worden. „1686 kam die prachtvolle Balkendecke hinzu. Jede Szene eine kleine Bibelgeschichte für all jene, die damals nicht lesen konnten“, erklärt Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck.

Dieser Raum zieht seit vielen Jahren Hochzeitspaare teilweise von weit her zur standesamtlichen Trauung nach Sondelfingen. Zwei Standesbeamtinnen sind dafür zuständig, für eine Gebühr von 150 Euro die Paare zusammenzuführen. Ein Großteil der rund 80 Veranstaltungen pro Jahr sind Trauungen. Einmal im Jahr bietet das Bezirksamt einen Informationssonntag an, der von angehenden Hochzeitspaaren zahlreich genutzt wird. „Die Kirche ist auf jeden Fall eine ganz außergewöhnliche Location für Trauungen“, sagt Christina Schäfer, Geschäftsstellenleiterin des Sondelfinger Bezirksamts.

Für das Jubiläum hat der Ortsteil ein Programm mit fünf Veranstaltungen organisiert. „Viele Musiker haben bisher die Atmosphäre und Akustik der Kirche genossen, deshalb wollen wir einige Konzerte anbieten“, sagt Bezirksbürgermeister Mike Schenk. Er hofft, dass mit dem Jubiläum eine Reihe gestartet werden kann, die künftig jedes Jahr Auftritte in der Kirche folgen lässt.

Neben OB Keck und Bezirksbürgermeister Schenk war auch ein Mann bei der Programm-Präsentation, der einen besonderen Bezug zur Stephanus-Kirche hat: Kurt Ziegler, der mit 15 Aktenordnern seines vor zwei Jahren verstorbenen Vaters Heinz vorfuhr und dessen Chronik übergab. Heinz Ziegler war einer der Retter des Gotteshauses und hat alles über die Kirche gesammelt und dokumentiert.

Außerdem hinterließ er rund 2000 Euro, mit denen seine Söhne Kurt und Frank Ziegler nun das Festprogramm finanziell unterstützen. Die Familie hat noch einen weiteren starken Bezug zur Stephanus-Kirche: Frank Ziegler war 1960 das letzte Kind, das dort getauft wurde, bevor die Gottesdienste in der neuen Johanneskirche abgehalten wurden. Und er war auch der Erste, der in der alten Kirche heiratete.

Abenteuerliche Kirchgänge

„Die Stephanus-Kirche ist weit mehr als nur ein altes Gebäude“, sagt denn auch OB Keck: „Sie ist ein Ort der Begegnung: Brautpaare aus nah und fern kommen hierher, um sich das Ja-Wort zu geben, es wird getauft, Abschied genommen, gelacht, gefeiert und musiziert. Unter ihrem Dach haben über die Jahrhunderte unzählige Geschichten stattgefunden.“

Nicht alles sei komfortabel gewesen, sagt Keck und erinnert an Umbauten, Kriege, verschwundene Glocken, feuchte Mauern. „Und die Bänke! Unbehandelt und hart, wer da saß, konnte sich einen Holzsplitter einfangen oder Staub von den Getreidelagerungen abbekommen. Kirchgang war damals also eher ein Abenteuer“, meint das Stadtoberhaupt. Und ist froh, dass sich engagierte Bezirksgemeinderäte wie Heinz Ziegler so vehement für den Erhalt der Stephanus-Kirche eingesetzt haben.

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